BAUREIHE 99

Klaus D. Holzborn                  Lokomotiv-Steckbrief

Baureihe: 99590

 

Die Lokomotiven 99 5901 bis 5905
der NWE und der Deutschen Reichsbahn

 

Entwicklung und Bau

Die Nordhausen-Wernigeröder Eisenbahn (NWE) beschafft in den Jahren 1897 bis 1901 für ihr Streckennetz, die Harzquerbahn zwischen Nordhausen und Wernigerode und für die Zweigstrecke zum Brocken insgesamt zwölf neue Lokomotiven. Die Wahl fällt auf die Bauart Mallet, das ist eine Lokomotivbauart, bei der zwei Triebwerksgruppen vorhanden sind. Eine Triebwerksgruppe ist unter dem Führerhaus fest mit dem Rahmen verbunden, wogegen die andere (vordere) wie ein Drehgestell ähnlich frei beweglich ist. Aufgrund dieser Bauart, die von dem Franzosen Anatole Mallet erfunden und patentiert wurde, sind die Lokomotiven auch auf sehr geringen Kurvenradien einsetzbar, zusätzlich besitzen sie die Verbundbauart: das heisst sie hat eine hintere Triebwerksgruppe mit einem Hochdruck-Zylinder von 285 mm Durchmesser und eine vordere Niederdruck-Triebwerksgruppe mit 425 mm Zylinderdurchmesser. Bedingt durch die ursprünglich tiefe Kessellage wird die hintere Triebwerksgruppe mit einem Aussenrahmen versehen. Neun Lokomotiven liefert Jung aus Jungenthal an der Sieg, drei baugleiche die Güstrower Waggonfabrik. Mit den zwölf Lokomotiven, die die Bahnnummern 11 bis 22 erhalten, wird der Gesamtbetrieb bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges problemlos durchgeführt. Die Heeresfeldbahn beschlagnahmt aber im Jahre 1914 sechs dieser Lokomotiven, so daß nur sechs Lokomotiven im Harz bleiben.
Es sind dies die Bahn-Nummern 11, 14, 18, 20, 21 und 22.
Im Jahre 1920 wird der Bestand um die Bahn-Nummer 41 aufgestockt, es handelt sich um eine ähnliche Mallet-Lokomotive mit etwas höherer Kessellage und Innenrahmen, die von der Maschinenbaufabrik Karlsruhe gebaut worden ist und über die Heeresfeldbahn zur NWE gelangt (die heutige 99 5906).

Einsatz und Ausmusterung

Die enorme Beanspruchung der Lokomotiven aufgrund des fehlenden Reservebestandes veranlasst die NWE, bereits schon im Jahre 1924 neue Ersatzkessel bei Jung und Hanomag (für Lok 14, die heutige 99 5902) zu bestellen. Im Gegensatz zur Ursprungsausführung wird jetzt die Kesselmitte um 300 mm angehoben, so dass nun eine grössere Ähnlichkeit zu dem Einzelstück mit der Bahnnummer 41 erzielt wird. Im Jahre 1927 verunglückt die Lokomotive mit der Bahnnummer 20 sehr schwer und muss verschrottet werden. Mit den sechs verbliebenen Lokomotiven, verstärkt durch die beiden C-Kuppler 6 und 7 (ebenfalls von der Heeresfeldbahn, die späteren 99 6101 und 6102) sowie den beiden schweren Mallets 51 und 52 der Bauart (1’B)’1’B-h4vt (später 99 6011 und 6012) versehen sie auf der Stammstrecke zwischen Nordhausen und Wernigerode und auf der Zweigstrecke zum Brocken ihren Dienst bis die Neubaulokomotiven der Baureihe 9923 ab dem Jahre 1957 den Gesamtbetrieb hier übernehmen können.

Im Jahre 1950 reiht die Deutsche Reichsbahn die Mallets in ihren Bestand als 99 5901 bis 5905 ein. Sie gelangen 1958 zusammen mit der anderen Mallet 99 5906 von der Harzquer- zur Selketalbahn (Gernrode–Harzgerode). Im Jahre 1983 nach der Fertigstellung des 1945/46 abgebauten Streckenstückes von Strassberg bis Stiege ist auch die Stadt Hasselfelde wieder einer ihrer Endbahnhöfe. Beheimatet werden die Lokomotiven in Gernrode, einer Aussenstelle von Wernigerode Westerntor. Angeschrieben an den Lokomotiven ist stets nur Wernigerode. Im Jahre 1971 wird 99 5905 beim Verladen schwer beschädigt, was im Jahre 1975 zur Ausmusterung im Raw Görlitz führt. Ab 1983 kommen auch die Neubaulokomotiven auf der Selketalbahn nach einer Profilerweiterung zum Einsatz und machen die Mallets fast arbeitslos, die daraufhin zunächst hinterstellt werden. Im Jahre 1985 wird die 99 5904 als nächste Lokomotive abgestellt, doch sie dient zunächst in Görlitz als Ersatzteilspender, im Jahre 1990 muss sie z.B. noch Steuerungsteile an die 99 5902 abgeben, bevor sie kurz darauf leider unsinnigerweise verschrottet wird.

1993/94 wird die Harzquer- und Brockenbahn ebenso wie die Selketalbahn privatisiert, die geplante Umzeichnung der Lokomotiven in die Reihe 099 (wie auf den anderen Schmalspurbahnen) unterbleibt. Die neue Gesellschaft heisst Harzer Schmalspurbahnen (HSB). Die noch vorhandenen vier Lokomotiven bleiben erhalten, zur Zeit sind die 99 5901, 5902 und 5906 betriebsfähig und stehen seitdem wieder für Sonderfahrten oder an bestimmten Tagen beziehungsweise zu besonderen Anlässen auch zu Planzugfahrten, zur Verfügung. 99 5903 ist als einzige noch in grün als Lok 13 (richtig wäre allerdings Bahn-Nr. 18 gewesen) im historischen Anstrich erhalten, nach ihrem Kesselfristablauf ist sie seit dem Jahr 2000 abgestellt. Im Jahre 2002 hat die 99 5901 im AW Meiningen einen neuen geschweißten Ersatzkessel erhalten; im Frühjahr 2007 hat die 99 5902 nach einer Hauptuntersuchung in Meiningen auch grüne Wasserkästen und ein grünes Führerhaus bekommen, behielt aber ihre alte Lokomotiv-Nummer 99 5902.

Konstruktionsmerkmale

Kessel: Genieteter Langkessel aus zwei Schüssen mit 3400 mm Abstand zwischen den Rohrwänden und einem Durchmesser von 1150 mm, Feuerbüchse und Stehbolzen aus Stahl (ursprünglich aus Kupfer, ursprünglich 12 bar), der grosse Dom enthält den Ventilregler, Ackermann-Sicherheitsventile am Führerhaus (ursprünglich Ramsbottom bzw. Pop), zwei 80 l selbstansaugende Dampfstrahlpumpen dienen zur Kesselspeisung (Werte gelten für den Ersatzkessel).
Rahmen: Genieteter Blechaussenrahmen aus 20 mm Blechen, der Hinterwagen ist mit dem Außenrahmen fest verbunden und trägt gleichzeitig den Dampfkessel und die Hochdruck-Triebwerksgruppe, das Führerhaus sowie die Vorratsbehälter, das vordere seitlich 300 mm ausschwenkbare Lenkgestell ist über ein kräftiges Scharnier (Königszapfen) gelenkig mit dem Hinterwagen verbunden, belastet wird es durch den vorderen verlängerten Anbau des Hauptrahmens, die Rückstellung erfolgt durch zwei waagerecht angeordnete Blattfedern und stützt sich mittels Gleitplatten auf den Vorderwagen ab.
Laufwerk: Vierpunktabstützung, alle Tragfedern befinden sich innerhalb des Rahmens, vorderes Triebgestell seitlich ausschwenkbar nach dem System Mallet.
Triebwerk: Vierzylinder-Naßdampf-Verbundtriebwerk, Antrieb auf dem jeweils zweiten Kuppelradsatz, zweischienige Kreuzkopfführung, Flachschieber, Triebwerksgruppen sind durch Ausgleichshebel miteinander verbunden.
Steuerung: Äußere Heusinger-Steuerung mit Steuerspindelumstellung über Handrad.
Bremse: Druckluftbremse Bauart Knorr (Pumpe im Wasserkasten versteckt eingebaut), alle Treibräder werden einseitig von vorn klotzgebremst. Ursprünglich Hardy-Saugzug-Bremseinrichtung (bei Lieferung Körting Saugluftbremse).
Besonderheiten: Zwei runde Sandkästen, die mit einem druckluftbetätigten Sandstreuer in Fahrtrichtung den jeweils führenden Treibradsatz sanden. Ausrüstung mit elektrischer Beleuchtung ab 1955. Dampfläutewerk der Bauart Latowski neben bzw. hinter dem Kamin, Dampfpfeife.

TECHNISCHE DATEN

Lokomotive

Bauart                             B‘B-n4vt Baujahr                              1897-1901 Gesamtserie                                  12 Stück
Hersteller                     Jung, Jungenthal und                         Waggonfabrik Güstrow Spurweite                            1000 mm
Radsatzstand                 2 x 1400 mm
Gesamter Radsatzstand        4600 mm
Zylinderdurchmesser        285/425 mm
Kolbenhub                            500 mm
Länge über Puffer                        8875 mm
Treibraddurchmesser                    1000 mm
Höchstgeschwindigkeit            30 km/h
Leistung                             158 kW
Zugkraft (0,45p)                   48,8 kN
Gewicht                                36,0 t

Kessel
Kesseldruck                            14 bar
Kesselheizfläche                   61,3 m²
Rostfläche                           1,39 m²

Vorräte

     Kohle                             1,5 t 
     Wasser                          5,0 m³
 

BESONDERHEITEN

Die Mallet-Lokomotiven der Harzer Schmalspurbahnen, die in den neunziger Jahren alle wieder hauptuntersucht worden sind, werden gewiss noch einige Jahre zur Freude der Eisenbahnbegeisterten auf der Selketalbahn ebenso wie auf der Brockenbahn unterwegs sein, sie sind in ihrem Äusseren wie die 99 5901 schwarz geblieben mit rotem Triebwerk, also in der klassischen Reichsbahnausführung oder wie die Lokomotive 99 5902 in Grün, Schwarz und Rot.

99 5901 im Zustand von heute, linke Seite
99 5902 wurde noch zu DDR-Zeiten 1989 aufgearbeitet, 
konnte aber erst durch Teile der  99 5904 betriebsfähig 
werden, hier im Mai 1990 in Wernigerode (noch mit Saugluftbremse)
99 5902 im aktuellen Betriebszustand

Alle Fotos © Klaus D. Holzborn

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